Was Sie sofort tun koennen um die Welt zu retten
14.03.2011 von viajero
Artikel, erschienen in der FAZ am 27.12.2010:
Rettung der Welt
Was Sie sofort tun können: Zehn Empfehlungen
Beginnen Sie, einfache Fragen zu stellen; hören Sie auf, Europapolitikern zu
glauben; nutzen Sie Ihre Handlungsspielräume; haben Sie Spaß dabei: Die
Rettung der Welt zum Mitmachen in zehn Empfehlungen.
Von Harald Welzer
1. Selber denken.
2. Trauen Sie endlich Ihrem Gefühl, dass um Sie herum ein großes
Illusionstheater stattfindet. Die Kulissen simulieren Stabilität, aber das
Stück ist eine Farce: Immerfort treten dicke Männer auf und brüllen
„Wachstum!“, Spekulanten spielen Länderdomino, und dauernd tänzeln
Nummerngirls mit Katastrophenbildern über die Bühne. Das Publikum ist
genervt und wütend, bleibt gleichwohl bis zum Ende der Vorstellung sitzen.
Aber: Wann wird das wohl kommen?
3. Verlassen Sie besser die Vorstellung und beginnen Sie, ganz einfache
Fragen zu stellen. Zum Beispiel: Warum muss man immer mehr arbeiten, wenn
man immer mehr arbeitet? Warum werden die Schulden größer, wenn immer mehr
gespart wird? Warum schrumpft alles andere, wenn die Wirtschaft wächst?
Anzeige
4. Suchen Sie zusammen mit Ihren Freundinnen und Freunden nach Antworten.
Zum Beispiel: Weil alle Idioten auch mehr arbeiten. Weil das Gesparte in
fremde Taschen wandert. Weil viele börsennotierte Unternehmen staatsferne
Parallelgesellschaften bilden.
5. Beschließen Sie, ab sofort nicht mehr mitzumachen, falls Ihre Antworten
Sie beunruhigen.
6. Fangen Sie damit an, aufzuhören. Hören Sie auf, Europapolitikern zu
glauben. Hören Sie erst recht auf, Wirtschaftsforschungsinstituten zu
glauben. Und hören Sie um Gottes willen damit auf, sich widerspruchslos
erzählen zu lassen, irgendeine Entscheidung sei alternativlos gewesen. So
etwas gibt es in Demokratien nicht.
7. Wenn Sie jetzt so weit sind, dass Sie nicht mehr jeden Blödsinn
tolerieren, nutzen Sie Ihre Handlungsspielräume. Sie leben in einem der
reichsten Länder der Erde, Sie sind hervorragend ausgebildet, Sie haben Spaß
am Leben und finden sich ganz gut. Warum zum Teufel machen Sie jeden Tag
dasselbe und nie etwas anderes?
8. Wie Sie Ihre Spielräume nutzen sollen? Schauen Sie sich einfach an, was
andere machen. Es gibt doch unglaublich tolle Ansätze und Projekte:
Energiegenossenschaften, Nachbarschaftsgärten, fairen Konsum, lokale
Währungen, großartige Stiftungen, Unternehmen, die sich dem Wachstumszwang
verweigern. Schreiben Sie politischer, falls Sie Journalist sind. Forschen
Sie für eine andere Zukunft, falls Sie in der Wissenschaft sind. Wechseln
Sie die Pausenthemen, falls Sie am Band arbeiten. Kaufen Sie anders ein,
falls Sie ein Restaurant haben. Fragen Sie, wo der Fisch herkommt, wenn Sie
essen gehen. Interessieren Sie sich für die Zukunft Ihrer Schüler, falls Sie
Lehrerin oder Lehrer sind. Fusionieren Sie mit einem Kindergarten, wenn Sie
ein Seniorenheim leiten. Denken Sie ans Höllenfeuer, wenn Sie einem der vier
großen Energiekonzerne vorstehen. Produzieren Sie cradle to cradle, wenn Sie
eine Fabrik besitzen. Riskieren Sie etwas, wenn Sie sich für intellektuell
halten.
9. Versuchen Sie irgendwo dazuzugehören, wo Sie stolz sagen können: „Wir
machen das anders!“ Zum Beispiel eine Kultur der Achtsamkeit entwickeln,
Ideen interessanter finden als Erfahrung, nicht auf Kosten anderer leben,
oder was Ihnen sonst noch einfällt. Zukunftsfähig zu sein bedeutet das
Gegenteil vom business as usual: lernend, fehlerfreundlich, reversibel zu
handeln.
10. Bilden Sie Labore der Zukunft und haben Sie Spaß dabei. Vergessen Sie
das „5-vor-12“-Blabla der Ökobewegung und das Gerede von der
„Weltgemeinschaft“ und der Notwendigkeit globaler Lösungen. Niemand hat an
Ihrer Wiege gestanden und mit hohler Stimme gesagt: „Lars, du bist zu uns
gekommen, um die Welt zu retten!“ Es genügt völlig, wenn Sie beginnen, mit
Ihrem Leben, Ihren Lieben und Ihrem Land verantwortungsvoll und
zukunftsfähig umzugehen. Das aber bitte gleich.
Stornieren Sie Ihre nächste blöde Flugreise (Sie wollen da sowieso nicht
hin), bestellen Sie Ihr nächstes Auto erst gar nicht (es wird Sie
unglücklicher machen, weil Sie glaubten, es mache Sie glücklicher), kaufen
Sie nichts mehr, was zu billig ist (denn dann hat irgendjemand zu wenig
bekommen). Säbeln Sie in Ihre Weihnachtsgans und teilen Sie Ihren Kindern
oder Enkeln mit, dass Sie ab jetzt Ihr Leben ändern werden. Das wird Ihnen
helfen, es tatsächlich zu tun (denn jetzt können Sie nicht mehr zurück).
Harald Welzer, 52, lehrt am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen und
veröffentlichte zuletzt mit Claus Leggewie „Das Ende der Welt, wie wir sie
kannten“ (S. Fischer).
http://www.kwi-nrw.de/home/profil-hwelzer.html
http://www.fischerverlage.de/buch/9783100433114