Über das Eigenleben von Ideen
17.01.2009 von michey
Haben neue Ideen überhaupt eine Chance?
Wie oft höre ich Leute, die sich über ihr Leben beschweren, wie schlecht es uns allen doch geht und was Politiker alles falsch machen. Ich antworte ihnen dann, dass es nichts hilft, wenn man sich nur beschwert und jammert. Man muss selbst etwas zum Besseren ändern und anfangen sollte man damit bei sich selbst. Wenn man die Welt verändern möchte, dann muss man erst einmal sich selbst ändern und seiner Umgebung ein Vorbild sein. Es geht darum, die eigenen Ideen zu leben und wenn diese Ideen gut sind, dann werden andere Menschen sie Kopieren. Daraufhin bekomme ich oft die Antwort, dass ich allein gar nichts ausrichten könne, da müsse ich schon als Prominenter in der Öffentlichkeit stehen. Diese häufige Antwort zeigt mir, dass die meisten Menschen nichts über das Wesen von Beziehungen wissen.
Das Wesen unserer Gesellschaft als Beziehungsnetzwerk
Unsere Gesellschaft, ja selbst die ganze Menschheit kann als Netzwerk betrachtet werden. Die einzelnen Menschen können als kleine Knotenpunkte gesehen werden und die Beziehungen zwischen ihnen, wenn sie z.B. Kontakt miteinander haben, können als Verbindungen zwischen den Knotenpunkten gesehen werden. Würde jeder Mensch nur Beziehungen zu den Menschen aufbauen, die ihm in seiner Nachbarschaft zufällig begegnen, so würde ein Zufallsnetzwerk an Beziehungen entstehen. Die Beziehungen zwischen den Menschen bauen sich aber nicht zufällig auf, sondern erfolgen nach einem bestimmten Muster. Das Sprichwort „Gleich und gleich gesellt sich gern“ sagt hier vieles aus. Wir Menschen bauen Kontakte zu den Menschen auf, die uns als sympathisch erscheinen. Menschen, die besonders kontaktfreudig und offen sind, erscheinen uns meist sympathischer als schlecht gelaunte Miesepeter. So bildet sich kein Zufallsnetzwerk heraus sonder vielmehr ein sogenanntes skalenfreies Netzwerk, bei dem die kontaktfreudigen und offenen Menschen am intensivsten vernetzt sind. Zufallsnetzwerk und skalenfreies Netzwerk sind in den folgenden Zeichnungen einmal dargestellt.
Bild 1: Zufallsnetzwerk
Bild 2: Skalenfreies Netzwerk
Beide Netzwerke, die in den Zeichnungen dargestellt sind, bestehen aus gleich vielen Punkten und gleich vielen Verbindungen. Die Frage die nun betrachtet werden soll ist, über wie schnell sich ein Gerücht oder eine neue Idee von Person A zu Person B am anderen Ende des Netzwerks ausbreitet. Im Zufallsnetzwerk in Bild 1 ist sichtbar, dass ein Gerücht über 6 Personen gehen muss, bis es von A nach B gewandert ist. Im skalenfreien Netzwerk aus Bild 2 ist sichtbar, dass ein Gerücht von A lediglich über drei Personen gehen muss, um B zu erreichen. Die Fortpflanzung einer Idee verläuft in einem skalenfreien Netzwerk um Größenordnungen schneller, als in Zufallsnetzwerken. Jeder, der eine Idee in die Welt setzt, sollte das wissen.
Die Theorie der kleinen Welt
Im Jahre 1967 fand in den USA das sogenannte Milgram-Experiment zum „Kleine Welt Phänomen“ statt. Dabei sollten 60 zufällig ausgewählte Personen aus Omaha und Wichita Informationspakete an an eine Person in das weit entfernte Boston schicken. Die Aufgabe bestand darin, das Paket nicht direkt an die Zielperson zu schicken, (außer sie kannten die Zielperson persönlich) sondern an einen Bekannten, von der sie glaubten dass sie die Zielperson mit einer höheren Wahrscheinlichkeit kennt.
Insgesamt erreichten drei Pakete ihr Ziel, wobei sie durchschnittlich durch sechs Hände gingen. Ob aus wenigen Experimenten dieser Art schon auf das Vorhandensein einer Kleinen Welt ausgegangen werden kann ist fraglich, weil die Menschliche Gesellschaft wahrscheinlich viele parallel existierende skalenfreie Netzwerke enthält, die sich dazu noch überschneiden. Erstaunlich bleibt aber nach wie vor die kurze Pfadlänge, also die geringe Anzahl von durchschnittlich sechs Personen, die ein Paket übertragen hatten.
Ist das Sammeln zahlloser Visitenkarten nötig?
In der Universität wurde mir in meiner Studienzeit immer wieder gesagt, dass es notwendig ist, aktiv „Networking“ zu betreiben. Das heißt, dass wir möglichst viele Kontakte bekommen sollten. Uns wurde nahe glegt, diese Kontakte in Kontaktbörsen und auf Industrie-Kontaktmessen zu suchen oder darüber, möglichst viele Auslandsaufenthalte zu absolvieren. Mir war das ganze irgendwie suspekt und ich fand es auch unlogisch. Wenn ich die ganze Zeit nur damit beschäftigt bin herumzureisen, wann sollte ich dann meine Arbeit als Ingenieur machen, die ja sehr viel Zeit kostet?
Betrachtet man aber die Natur der gesellschaftlichen Netzwerke und die Ergebnisse des Milgram-Experiments, so reicht es vollkommen aus, wenn man seine engsten Freundschaften und Bekanntschaften pflegt. Über sechs bis sieben Ecken kennt man sowieso fast die ganze Welt. Wenn ich also einen Kontakt brauche, so frage ich einfach einen guten Bekannten, von dem ich glaube dass er am ehesten jemanden kennt, der den Kontakt zu der Person hat, den ich benötige. Diese Methode braucht zwar etwas Zeit, aber wie auf wundersame Weise kommen dann plötzlich die Menschen auf mich zu, die ich mir wünsche, wenn auch anders als gedacht. Das ist jedenfalls meine Erfahrung. Ich finde das ab und zu sogar etwas gruselig, weil das so gut funktioniert. Ich bin seitdem vorsichtig damit geworden, was ich mir wünsche …
Fazit
Zum Schluss sei hier noch das Beispiel einer sehr bekannten antiken Quelle aus Indien genannt. In der Bhagavadghita (Dritter Gesang, Vers 21) ist das Wesen der skalenfreien Netzwerke indirekt beschrieben. In der Übersetzung aus dem Sanskrit ins Deutsche von Robert Boxberger heißt es:
Es ahmen alle anderen nach,
Das, was ein Edler einst begann,
Wenn er ein Vorbild aufgestellt,
So folgt ihm der gemeine Mann.
Diese Worte sagen meiner Ansicht nach alles darüber aus, wie neue Ideen in die Welt gesetzt werden können.
Ich finde auch, man sollte sich nicht immer damit beschäftigen wollen, die „Massen zu erreichen“ oder die ganz großen Räder zu drehen. Sind die Ideen, die ich habe gut oder bringen sie auch nur andere Menschen dazu nachzudenken und womöglich aus meiner schlechten einen guten Ansatz herauszufiltern, dann ist das doch wunderbar!