Der Umgang mit komplexen Systemen III
20.03.2009 von michey
Ein kleiner Einstieg in die Kybernetik
In den letzten beiden Artikeln habe ich erläutert, was komplexe Systeme sind und welche Eigenschaften sie haben. In diesem Artikel möchte ich in die Kybernetik einsteigen und erläutern, welche Eigenschaften ein komplexes System aufweisen muss, damit es selbstorganisierend sein kann. Diese Eigenschaften sind in den Systemen in der Natur bereits seit Jahrmillionen in praktischer Anwendung.
In einem ersten Schritt möchte ich aber zuerst einmal den Begriff der Kybernetik erklären:
Die Kybernetik erforscht und beschreibt hierbei die grundlegenden Konzepte zur Steuerung und Regulation von Systemen, unabhängig von ihrer Herkunft.
[Quelle: Wikipedia]
Die acht goldenen Regeln der Kybernetik
Die Kybernetik hat acht Regeln beschrieben, die für ein selbstorganisierendes komplexes System notwenig sind.
- Negative Rückkopplung muss über positive Rückkopplung dominieren.
Die positive Rückkopplung ist selbstverstärkend und beschleunigt die Vorgänge, die negative Rückkopplung verhindert, dass sich die Selbstverstärkung bis zur Zerstörung aufschaukelt. Ein Mensch in der Steinzeit konnte kein Übergewicht haben, weil er sonst zu fett gewesen wäre, um seine Beute zu Jagen. Das ist ein Beispiel von der Dominanz der negativen Rückkopplung. - Das System muss von quantitativen Wachstum unabhängig sein.
Ein System, dass seine optimale Größe erreicht hat, muss aufhören können zu wachsen, ohne dass dabei seine Funktion gefährdet ist. Der Menschliche Körper zum Beispiel hört irgendwann auf zu wachsen und funktioniert trotzdem – ein Jahrmillionen altes und bewährtes Konzept. Unser Wirtschaftssystem hingegen muss exponentiell wachsen, um die exponentiell wachsende Zinsansprüche der Summe aller Vermögen erfüllen zu können. Wachstumsstillstand bedeutet hier den Zusammenbruch. (Anmerkung: Dieser Sachverhalt ist als der 2. Hauptsatz der Volkswirtschaftslehre lange bekannt und Stand des Wissens) - Das System muss funktionsorientiert und nicht produktorientiert arbeiten.
Nehmen wir als Beispiel die Funktion der Fortbewegung in unserer Gesellschaft. Die Funkton der Fortbewegung bestand immer wird immer bestehen. Das Produkt, also das Fortbewegungsmittel muss aber immer offen und flexibel bleiben. Es gibt Fälle, da ist die Fortbewegung mit dem Auto oder dem Fahrrad sinnvoll, in einem anderen Fall ist auch das Gehen zu Fuß zu bevorzugen. Sich nur auf das Auto zu fixieren, würde eine Gesellschaft ihrer Funktionsfähigkeit berauben. - Vorhandene Kräfte werden genutzt
Die Kondoren in den Anden Südamerikas zum Beispiel warten geduldig auf die Aufwinde, die bei Sonnenaufgang einsetzen. Erst, wenn die Aufwinde einsetzen, breiten die Kondoren ihre Flügel aus und lassen sich energiesparend in die Höhe tragen. - Produkte und Funktionen werden mehrfach genutzt
Unsere Hände zum Beispiel sind ein Vorbild der Mehrfachnutzung einer Funktion, ihre Tätigkeiten sind äußerst vielfältig. - Die Stoffkreisläufe sind geschlossen
Das Wasser auf unserer Erde ist das gleiche Wasser, dass bereits die Dinosaurier getrunken haben. Die Atome, aus denen wir bestehen, sind die gleichen, aus denen schon die Dinosaurier bestanden haben. Wir Menschen vergessen das und haben unsere Technologie so aufgebaut, dass wir Rohstoffe aus der Erde entnehmen, um sie dann zum Schluss als „Müll“ in Mülldeponien einzugraben, damit wir uns nicht an ihnen vergiften. - Die Verschiedenartigkeit von Systemen wird durch Kopplung und Austausch genutzt.
Alles, was an Nebenprodukten einer Lebensform anfällt, wird von einer anderen Lebensform genutzt. Die Lebensformen sind dabei so verschiedenartig, dass sie die Nebenprodukte anderer Lebensformen nutzen können. Das führt dazu, dass Stoffe auf kleinstem Raum ohne lange Transportwege, direkt und energiesparend ausgetauscht werden können. - Produkte, Verfahren und Organisation entwickeln sich durch Rückkopplung
Das Prinzip der Evolution, schafft es, durch Versuch und Irrtum die komplexesten Lebensformen zu entwickeln. (Hier eine kleine Anmerkung meinerseits: Solltet Ihr einmal ein Maschinenteil mit 20 Variablen optimieren müssen, dann programmiert Euch einen Evolutionsalgorithmus. Ihr werdet Euch wundern, wie schnell der durch zufällige gleichzeitige Mutation aller Variablen zu einer optimalen Lösung führt. Man muss das gesehen haben, sonst glaubt man das nicht… )
Jeder kann sich mal überlegen, wie wir Menschen jeden Tag gegen all diese Regeln verstoßen. Da wird schnell offensichtlich, warum die meisten Menschen gegenüber den Problemen unserer Zeit völlig ratlos gegenüberstehen. Man braucht sich nur unsere „Elite“ in Politik und Wirtschaft anschauen – überforderte, traurige Gestalten, die einem nur leid tun können.
Ein schönes Zitat zum Schluss
„Ich will damit deutlich machen, dass wir in unserer komplexen Welt heute kein Problem … mehr angehen sollten, ohne zuvor eine eingehende Folgenabschätzung durchgeführt zu haben. … Wie im voranstehenden Kapitel betont bedeutet das vor allem, das System, in dem das Problem auftritt, zu untersuchen und nicht nur das Problem selbst.“
[Vester, Frederik: Die Kunst vernetzt zu denken. DTV-Verlag. München, 2002. Seite 110]
Wie die Systemanalyse durchgeführt werden kann, das folgt im nächsten Blogbeitrag zu diesem Thema ;)