Attentate in Paris vs. Wende 1989
15.11.2015 von viajero
Die Attentate vorgestern in Paris lassen wohl die wenigsten kalt. Mir hat es gefühlsmäßig ein großes auf und ab gebracht. Und vor allem eine große Unsicherheit, was da wohl noch so kommen wird (egal ob von Terroristen oder von absehbaren Gegenreaktionen). Irgendwie scheint sich da eine Gewaltspirale aufbauen zu wollen…?!
Dabei habe ich gemerkt, dass ich dieses Gefühl der Unsicherheit in Dresden 1989 auch schon hatte. Niemand wusste, was da kommen wird, aber das etwas kommen wird lag in der Luft.
Damals gingen viiiele Menschen in die Kirchen. Die Kirchen waren ein Kristallisationspunkt und haben die Menschen (nicht nur geographisch) zusammengebracht.
Am heutigen Sonntag zog es mich wieder in die Kirche. Und die Erinnerung an ’89 wurde noch viel stärker geweckt: Es gab einen Gospelgottesdienst und wie ’89 wurde auch „We shall overcome“ gesungen. Die (kleine) Kirche war zudem auch voll.
Weitere Parallelen kamen mir in den Sinn: ’89 wusste man auch nicht so richtig, wer bei der Stasi war und wer am Hauptbahnhof in Zivil gegen die friedlichen Demonstranten mitknüppelt. Es gab somit auch einen „Graben“ zwischen Nachbarn, ähnlich wie heute zwischen Pegida und No-Pegida.
Trotzdem ist heute irgendwie vieles ganz anders:
- Die Kirchen sind kein Kristallisationspunkt mehr. Auch wenn dieses Wochenende mehr hingehen, ist es immer noch ein kleiner Bruchteil. Mit Rückgewinnung von Privilegien und Macht nach der Wende, hat die DDR-Kirche vielleicht auch etwas die echten Belange der Menschen und Werte aus den Augen verloren? Die angepasste Kirche macht dann eher „Dienst nach Vorschrift“. Aber vielleicht ist das jetzt auch eine Chance für die Kirchen auf eine Rückbesinnung?!
- ’89 gab es 1 Front zwischen Staat (=Diktatur) und Bürgern. Heute gibt es verschiedene Fronten unter den Bürgern selbst (links, rechts, Verschwörungstheoretiker, Pegida’s und Co….). Und die Parteien sind entweder zu klein, zu uneins oder Schwenken die Fahne nach dem Wind. Es gibt also viele kleinere Kristallisationspunkte, die auch nicht so stabil sind. Genauso scheinen viele Menschen hin- und herzuschwanken (Ausländer rein oder doch lieber raus?…). Die Uneinigkeit tritt meist zutage, sobald sich erste Erfolge zeigen, oft auch egal auf welcher Seite (Pegida, AFD, Piraten…).
- ’89 wußte man ungefähr, wer „rot“ war oder evtl. bei der Stasi. Heute kann schwer eingeschätzt werden, wer Pegida unterstützt und zudem zerteilen die „Frontlinien“ nicht nur verschiedene Wohnungen der gleichen Strasse, sondern auch viele Familien.
- Der größte und erschreckendste Unterschied zu ’89 ist für mich allerdings der Hass, welcher gesät wird! Der Hass, den Pegida und Co. säen (egal ob beabsichtigt oder als „Kollateralschaden“ zu auch vernünftigen Forderungen), ist vielleicht auch nicht viel anders als der Hass, der durch fundamentalistische Moslems gepredigt wird?!
Auch wenn niemand umgebracht wird, ist nichts in Ordnung, solange Hass gepredigt wird (egal auf welcher Seite). Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis es kracht!
Wie viel weitere Gewalt brauchen wir, bis eine Mehrheit der Menschen die Lösung der eigenen Ängste nicht nur im Aussen, sondern auch im Kopf der Menschen sieht…???