Finanzkrise: Pest oder Cholera?
25.11.2011 von viajero
Es ist schon sehr traurig (oder auch lustig?!) wie seit Monaten versucht wird dem Schuldenproblem in Europa beizukommen. Wie seit Jahren geht es dabei nur um die Behandlung von Symptomen und kurzfristiger Schadensbegrenzung. Über die tiefer liegenden Ursachen dagegen wird kaum diskutiert. Solange wir hier wegschauen, werden wir nie Ruhe bekommen. Im Gegenteil, der Kessel wird immer heißer… ! :
Derzeit werden als Lösung des Schuldenproblems vor allem 3 Möglichkeiten gesehen:
- A) Einführung von Euro-Bonds, wobei alle Länder für alle mithaften würden.
- B) Aufkauf der Schulden (Staatsanleihen der betroffenen Länder) durch die Europäische Zentralbank (EZB)
- C) Beschneidung der nationalen Fiskalpolitik und Bestimmung aus Brüssel
A) Euro-Bonds
- Voraussichtlich würde sich die Lage erstmal etwas beruhigen und ein Flächenbrand vermieden: Denn jetzt haften die „besseren Schuldner“ für die „schludrigeren Schuldner“ mit. Griechenland, Portugal usw. wären auf einmal wieder viel Kreditwürdiger und könnten wieder Kredite zu günstigeren Zinssätzen aufnehmen.
- Dies wäre allerdings nur kurzfristig, denn die überschuldeten Länder werden es trotzdem kaum schaffen ihre Finanzen „in Ordnung“ zu bringen: Dazu wären a) die Einschnitte im sozialen Bereich viel zu hart und auch unverständlich, da der „kleine Mann“ am wenigsten Schuld am Problem hat. b) an die „Reichen“ und „Gewinner“ (bzw. Verursacher der Krise) wird kaum ein „rankommen“ sein bzw. haben diese einen zu großen Einfluss. Außerdem würde immer versucht werden das Thema aufzuschieben, da die Politiker (systembedingt) meist nur max. 4 Jahre (1 Legislaturperiode) voraus denken (also kurzfristig).
- Die Schulden würden also weiter wachsen und dann wären auch die Euro-Bonds immer weniger kreditwürdig. Die Krise würde genauso wieder vor der Tür stehen, aber nur ein paar Nummern größer und mit „Geiselhaft“ aller EU-Staaten…
B) Ankauf Staatsanleihen durch EZB
- Die hochverschuldeten Länder könnten sich erstmal etwas Luft verschaffen, da die Kredite von der EZB weniger Zinsen kosten würden als auf dem „normalen“ Markt.
- Das Problem würde aber aller Voraussicht nach wie bei A) nur etwas nach hinten verschoben.
- Falls dann doch der Bankrott käme, würde die EZB (und damit alle Euro-Länder) haften.
C) Verlust der nationalen Unabhängigkeit und Bestimmung aus Brüssel (als Gegenleistung zu Krediten)
- Damit könnte aus Brüssel ein Sparplan in dem jeweiligen Land durchgesetzt werden.
- In der Praxis richtet sich der Sparplan aber meist gegen den „kleinen Mann“, Sozialleistungen und Rente. Da gibt es keine so große Lobby-Gegner bzw. sitzen nicht mit in der Regierung.
- Solche einseitigen und ungerechten Sparpläne ließen sich aus Brüssel viel leichter durchsetzen, da die betroffenen Einwohner kaum nach Brüssel demonstrieren kommen würden.
Was wäre, wenn die Staatsschulden tatsächlich nicht weiter wachsen würden?
- O.K., sehen wir mal nicht so schwarz. Nehmen wir tatsächlich einmal an, die Länder schaffen es irgendwie ihr Schuldenproblem doch noch in den Griff zu bekommen und mittelfristig tatsächlich einen ausgeglichenen Haushalt. (In der Theorie wäre dies gar nicht so schwer und man bräuchte nicht einmal „den kleinen Mann“ schröpfen ! (aber dies ist ein anderes Thema)).
- Was passiert am Finanzmarkt, wenn die Staaten sich nicht mehr wie seit Jahrzehnten jedes Jahr weiter Verschulden würden? Was passiert, wenn dieser „treue Schuldner“ weg fällt oder sogar Kredite zurückzahlt?
- Dann würden die Gläubiger (in erster Linie die Banken) ein großes Problem bekommen: Wer nimmt stattdessen das viele Geld?
- Das meiste würde vermutlich in Spekulationen fließen und die sowieso schon wieder wachsenden Blasen weiter aufblähen. Oder es würde in der Politik Druck machen um weitere Anlagemöglichkeiten „zu schaffen“. Z.B. mit der weiteren privaten Aneignung von Lebensgrundlagen.
- Wozu das führt ist ja inzwischen auch bekannt…
Was bleibt dem Staat also übrig? Er muss weiterhin die „übrigen“ Gelder vom Kapitalmarkt aufnehmen und mit Zinsen vernünftig bedienen, damit das Finanzsystem nicht zusammenbricht ?!
Dies geht allerdings nur, wenn die Schulden nicht ewig prozentual steigen (sonst wäre das Land ja irgendwann bankrott). Die prozentuale Verschuldung bliebe aber gleich, wenn im Verhältnis der neuen Schulden auch die Wirtschaft (und damit die Staatseinnahmen) mit wachsen würden.
Aha! Da haben wir doch die Lösung: Wir setzen alles auf Wirtschaftswachstum und brauchen uns dann um die Schulden nicht mehr zu sorgen !!! Am besten jedes Jahr um 3-4% (also exponentiell). Dann würden vielleicht sogar wieder Arbeitsplätze geschaffen (2% reichen dafür noch nicht!)?!
Aber Mist! Da gibt es auch wieder ein Problem: Exponentielles Wirtschaftswachstum geht langfristig überhaupt nicht (s. Wirtschaftswachstum und Bruttoinlandsprodukt). Schon jetzt erreichen wir unser hoch gelobtes Wirtschaftswachstum hauptsächlich aus Schäden an Natur und Gesellschaft.
Aha, nun kommen wir dem Wurm in unserem Wirtschaftssystem langsam auf die Schliche:
- Wir haben eigentlich nicht nur zu wenig Geld (zu viel Schulden), sondern wir haben (mindestens genauso schlimm) viel zu viel Geld, welches um die Welt vagabundiert (die summe aller Schulden und Geldvermögen ist immer 0, den riesigen Schuldenbergen stehen also genauso riesige Vermögensberge gegenüber, diese aber eher selten beim Ottonormalbürger):
- Es gibt mehrere Billionen! Euro, welche um die Welt schwappen auf der Suche nach guten Anlagemöglichkeiten. Diese vielen Billionen stammen hauptsächlich aus den zurückgelegten Geldern von Versicherungen (z.B.Lebensversicherungen), Rentenansprüchen, Bankspar-Produkten (z.B. Investmentfonds) und sonstige Finanzinvestoren (z.B.HedgeFonds).
- Nun ist allerdings eine gute Rendite mit geringem Risiko in der Realwirtschaft nicht mehr zu machen. Die Renditen sind zum allergrößten Teil nur noch auf Kosten der Gesellschaft (bzw. kommenden Generationen) oder der Umwelt zu erzielen. Z.B:
- – In der leistungslosen Wirtschaft, wobei einfach nur anderen etwas weggenommen wird.
- – Durch Raubbau und Zerstörung der Natur über die Externalisierung von Umweltkosten
- – Durch Aufnahme des Kapitals durch Staaten, die sich immer mehr Verschulden (eben das oben besprochene Thema) oder
- – sonstige Spekulationsgewinne mit der Entstehung von Blasen (z.B. die Immobilienblase der USA, welche sich zur Weltfinanzkrise entwickelte).
Man sieht hier, dass alle diese attraktiven Anlagemöglichkeiten für die immer schneller wachsenden und suchenden Billionen €, allesamt schädlich sind.
Aber das ist noch nicht alles: Zudem vermehrt und konzentriert sich das Geld bei der Hochfinanz immer weiter (diese Leute haben soviel Geld, dass man es beim besten Willen nicht mehr ausgeben kann, man legt es also wieder an usw. usw… über die Zinskosten in den Produkten dürfen es dann alle zahlen) -> Dadurch geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Dann muss oft der Staat wieder einspringen (um das gröbste zu verhindern)
Was also tun?
Was wäre, wenn wir diese attraktiven aber schädlichen Anlageformen „auschalten“ ? Das könnten wir ziemlich gut machen mit:
- der Schaffung von freien Lebensgrundlagen anstatt der leistungslosen Wirtschaft, welche auf der privaten Aneignung der Lebensgrundlagen basiert.
- der Einführung einer Art (bzw. ein Mix daraus) Minderwertsteuer um die Umwelt- & Sozialkosten in die Produktpreise einzurechnen
- Die Staaten gleichen ihre Haushalte aus (z.B. durch Streichung von sinnlosen Subventionen und durch Einführung von zukunftsfähigeren Steuern (auch im Austausch gegen unzeitgemäße Steuern).
- Die Spekulationen mit Instrumenten wie einer Finanztransaktionssteuer unterbinden.
-> Aber was passiert mit dem angelegten Geld? Es würde sich kaum mehr lohnen!
-> Ein Großteil des Geldes würde:
- in Sachgüter fließen: dann bekämen wir eine ordentliche Inflation, die könnte sich selbstverstärken und es kommt zum Währungscrash mit Geldentwertung. oder
- würde einfach abgezogen und „unter der Matraze“ (bzw. auf dem Girokonto) gehortet (da die Anlage ja kaum etwas bringt). Damit steht das Geld der Wirtschaft nicht mehr zur Verfügung. Diese müssen aber ihre Kredite nach Ablauf durch neue Ablösen, was dann nicht mehr richtig klappt (bzw. nur zu einem viel höherem Zinssatz). Es käme zur Deflation. Auch diese könnte sich schnell selbstverstärkend entwickeln und am Ende stünde genauso ein Crash des Währungssystems.
O.K., so geht das also auch nicht. Wie war nochmal das Problem? Ach ja:
- wir haben eigentlich zu viel Geld (bzw. eigentlich ist dies ja Geldvermögen, für Volkswirte die Geldmenge M3). Diese (aufgrund der Zinsen/Renditen) immer weiter wachsenden Geldvermögen brauchen immer weitere Anlagemöglichkeiten, damit es nicht zum Crash kommt.
- Diese Anlagemöglichkeiten richten aber inzwischen immer größere Schäden an.
Was nun? Pest oder Cholera?
Es gibt vermutlich nur einen Ausweg um langfristig Ruhe zu bekommen und die o.g. Maßnahmen gegen die derzeitigen Schädigungen durchzuführen:
- Die extremen Geldvermögen ohne Nachfrage in der Realwirtschaft müssen Schritt für Schritt zurückgefahren werden. Dies z.B. durch hohe Steuern auf Geldvermögen. Wenn nicht, wird dies durch einen zukünftigen Crash erledigt, dann aber chaotisch & unkontrolliert.
- Es sollten parallele, selbstregulierte Geldsysteme (die nicht selbstverstärkend immer weiter wachsen, sondern sich selbständig an den optimalen Bedarf anpassen) geschaffen bzw. vorhandene unterstützt werden. Dann würde ein Crash auch weniger chaotisch werden. Wir hätten dann auch eine bedeutend krisenfreiere Wirtschaft, denn das Geld wäre dann für die Wirtschaft in dem Moment da, wo es wirklich gebraucht würde. Im Moment ist es dagegen so, dass die Wirtschaft sich dem Gelddruck anpassen muss (s.auch: Die Euro-Krise beschleunigt sich).
Na dann schauen wir mal, die Spiele sind eröffnet….!