Selbstausbeutung bei selbstorganisierenden Projekten
14.04.2009 von michey
Die scheinbare Freiheit
In den letzten Artikeln habe ich sehr viel über die Vorteile von selbstorganisierenden Projekten, der Schaffung eigener Lebensgrundlagen und Freiheit geschrieben und hier habe ich vor allem die Vorteile und Chancen beschrieben. In diesem Blogbeitrag möchte ich jetzt auf die große Gefahr der Selbstausbeutung in selbstorganisierenden Projekten hinweisen, die mir bewusst geworden ist, als ich einen Artikel über virtuelle Callcenter gelesen habe. Ich möchte darüber schreiben, um Möglichkeiten zu schildern, wie man sich gegen diese Gefahr schützen kann. Dazu muss man die Mechanismen der Selbstausbeutung aber frühzeitig erkennen.
In den eben erwähnten Blogbeitrag, den ich gelesen habe geht es um bestimmte Callcenter, die hier aber lediglich als Beispiel dienen sollen. Es sind auch andere Unternehmensformen denkbar, die aber alle nach einem ähnlichen Muster der Ausbeutung arbeiten werden. Die eben genannten Callcenter beschäftigen „selbständige“ Mitarbeiter, die ihre Arbeit am Rechner von zu Hause aus erledigen. Diese scheinbar selbständigen Beschäftigten sind dabei über das Internet mit dem Firmennetzwerk verbunden. Bezahlt werden die Beschäftigten danach, welche Bewertung sie im Betriebseigenen Bewertungssystem erreichen. Je mehr Umsatz ein Beschäftigter macht, desto mehr Aufträge werden ihm zugeschoben und desto mehr Umsatz macht er. Ein ständiger Konkurrenzkampf, die Vereinzelung der Beschäftigten und gnadenlose Selbstausbeutung sind dabei die Folge. Die vermeintliche Freiheit wird dabei schnell zur Sklaverei. Das Joch der Sklaverei existiert dabei nicht in Form eines Schuldverhältnisses, sonder noch viel schlimmer, es existiert lediglich im Kopf der Beschäftigten. Es ist für den beschäftigten selbst unsichtbar und wird mit der Zeit immer stärker, bis der Beschäftigte irgendwann unter der Last der Arbeit gesundheitlich zusammenbricht.
Wo liegt die Grundlage der Selbstausbeutung?
Es stellt sich also die Frage, worin die Grundlage der Selbstausbeutung zu finden ist. Was ist also der Unterschied zu einem Erfinder, der in seiner eigenen Werkstatt bis zum Umfallen an seiner Erfindung arbeitet und z.B einem Ingenieur, der an einem über das Internet vernetzten Projekt zur Konstruktion einer Anlage teilnimmt? So einfach lässt sich die Frage nicht beantworten. Beide können ausgebeutet werden oder auch nicht.
Zunächst möchte ich den Begriff der Selbstausbeutung etwas präzisieren: Ausbeutung bedeutet zuerst einmal die verbrauchende Nutzung einer Ressource. Auch Menschen können ausgebeutet werden, z.B. durch Sklaverei oder Lohndumping oder ähnliches. Die Aussage, dass bei Selbstausbeutung ein Mensch diese verbrauchende Nutzung selbst übernimmt, erscheint mir etwas irreführend, denn ein Mensch selbst würde das aus eigenem Willen vermutlich nicht tun. Der Menschliche Körper ist vor allem Faul und verfügt über einen starken Selbsterhaltungstrieb und das ist sicherlich gut für den Selbsterhalt. Das erscheint jetzt vielleicht etwas provokativ, aber ich Frage bei in dieser Situation danach, wer hinter dieser Ausbeutung steht, die scheinbar durch den Menschen selbst stattfindet.
Bei genauerem Hinsehen erscheint bei der Selbstausbeutung ein unsichtbares Joch und eine Unsichtbare Peitsche und es ist nicht der Mensch selbst, der Peitsche und Joch führt. Stellt man sich die Frage „Wer Profitiert ?“ und folgt man den Zügeln am Joch bis zur führenden Hand, so steht hier oft ein Gläubiger, ein Investor, laufende Lebenshaltungskosten, die Erwartungen anderer Menschen, Verpflichtungen, die eigenen Wünsche und was auch immer. Die Gründe sind hier vielfältig aber ganz besonders gefählich wird es, wenn andere Personen im Hintergrund profitieren, denn hier hilft nicht einmal der Selbsterhaltungstrieb des ausgebeuteten Menschen.
Die zwei folgenden Bedingungen erscheinen mir besonders auffällig, dass eine Person im Hintergrund durch die Ausbeutung profitiert:
- Es existert ein Bewertungssystem mit Belohnungs- und Bestrafungsfunktionen, ganz gleich, wie das aussehen mag – und das ist ganz wichtig – der ausgebeutete kennt dieses System. Es ist vergleichbar mit einem Panopticon.
- Der Ausgebeutete ist nicht der Eigentümer seiner Lebensgrundlagen und nicht Eigentümer der Früchte seiner Arbeit. Die Früchte seiner Arbeit gehören „dem Team“, oder „dem Projekt“. Typisch sind hier zum Beispiel Berufsverbote beim Ausscheiden aus dem Projekt oder irgendwelche Verzichtserklärungen.
Offenes Wissen als Sicherheit
Selbstausbeutung bei selbstorganisierenden Projekten wird am besten durch folgende Vorkehrungen vermieden:
- Jeder Teilnehmer nimmt am Projekt nur aus Selbstzweck Teil frei nach dem Motto: „Ich tu was ich will, will was tu und tu es nur für mich selbst.
- Jeder Teilnehmer muss Eigentümer seiner Arbeitsmittel sein.
- Jeder Teilnehmer hat Zugang zum gesamten Wissen des Projekts.
- Jeder Teilnehmer kann dieses Wissen für andere Projekte frei nutzen.
- Jeder Teilnehmer hat direkten Kundenkontakt bzw. Kontakt zur erschaffenen Lebensgrundlage.
- Jeder Teilnehmer kann jederzeit aus dem Projekt aussteigen.
- Jeder Teilnehmer erledigt seine Aufgaben nach den Regeln seines Berufsstandes nach bestem Wissen.
- Jeder Teilnehmer übernimmt die Haftung für das was er tut nach den gesetzlichen Regeln.
- Jeder Teilnehmer wird nach seinem Arbeitsaufwand am Gewinn beteiligt.
- Kein Teilnehmer akzeptiert Verzichtserklärungen, Verpflichtungen, Berufsverbote und Sanktionen.
- Kein Teilnehmer akzeptiert einen Vorgesetzten.
Wenn einer dieser Punkte nicht erfüllt sein sollte gilt es, besonders Wachsam zu sein.
Hier eine kleine Anmerkung von mir, die aus meiner persönlichen Erfahrung stammt: Das Yogasutra von Patanjali ist ein sehr schönes Buch, dass bei genauerem Hinsehen viele Anhaltspunkte zur aktiven Vermeidung von Ausbeutung eröffnet. Die Aufgabe der Interpretation der einzelnen Verse (Sutras) liegt absichtlich beim Leser, was dieses Buch besonders reizvoll macht. Die Gestaltung des Buches „Das Yogasutra“ von R. Siriram hat mir persönlich am besten gefallen, da hier die originalen Sutras den Erläuterungen des Verfassers gegenübergstellt werden.
ISBN 978-3-7831-9525-5